
Als BioNTech im Jahr 2008 gegründet wurde, war das Mainzer Unternehmen in der breiten Öffentlichkeit völlig unbekannt. Die wissenschaftliche Vision ihrer Gründer war ambitioniert: Krebs mit Hilfe von Boten-RNA (mRNA) bekämpfen – personalisiert, immunologisch und technologisch hochpräzise.
Über Jahre hinweg bewegte sich BioNTech unterhalb des medialen Radars, bis die COVID-19-Pandemie dem Unternehmen unverhofften weltweiten Ruhm bescherte. Doch statt sich dauerhaft auf dem Erfolg auszuruhen, verfolgt BioNTech nun eine neue Strategie. Mit milliardenschweren Übernahmen und Kooperationen will das Unternehmen endgültig zur treibenden Kraft in der globalen Krebsforschung werden.
Die Gründung und frühen Jahre (2008–2019)
BioNTech wurde 2008 von dem Mediziner- und Forscherpaar Uğur Şahin und Özlem Türeci sowie dem Onkologen Christoph Huber in Mainz gegründet. Schon vor der Unternehmensgründung hatten die Gründer an der Johannes Gutenberg-Universität an personalisierten Immuntherapien gearbeitet. Ihre Idee: mRNA, die dem Körper beibringt, körpereigene Immunzellen gezielt gegen Tumorzellen zu richten, könnte der Schlüssel im Kampf gegen Krebs sein.
Das junge Unternehmen stieß bei Investoren auf Interesse – auch wenn der Weg zur Marktreife lang und risikoreich erschien. Frühzeitig engagierten sich die Brüder Andreas und Thomas Strüngmann, die einst Hexal aufgebaut und an Novartis verkauft hatten. Über ihre Beteiligungsgesellschaft investierten sie einen dreistelligen Millionenbetrag in BioNTech. Auch der Wagniskapitalgeber MIG Fonds wurde einer der wichtigsten Geldgeber.
In den ersten zehn Jahren arbeitete BioNTech an einer Vielzahl immuntherapeutischer Plattformen. Dabei ging es nicht nur um mRNA, sondern auch um CAR-T-Zellen, Antikörper und neuartige Impfstoffplattformen. Das Unternehmen unterhielt zahlreiche Partnerschaften mit Pharmafirmen wie Sanofi, Genentech oder Genmab und nahm erste klinische Studien auf – zunächst in kleinem Umfang, oft in Deutschland.
Durchbruch mit COVID‑19 (2020–2021)
Die globale COVID-19-Pandemie veränderte nicht nur das öffentliche Gesundheitswesen, sondern auch die Wahrnehmung von Biotechnologie weltweit – und BioNTech stand plötzlich im Zentrum der Aufmerksamkeit. Schon früh nach dem Ausbruch des SARS-CoV-2-Virus im Januar 2020 begann das Unternehmen unter dem Projektnamen „Lightspeed“, einen Impfstoff zu entwickeln.
In Kooperation mit dem US-Pharmariesen Pfizer gelang der große Coup: Der gemeinsam entwickelte Impfstoff BNT162b2, bekannt unter dem Markennamen Comirnaty, wurde im Dezember 2020 als weltweit erster mRNA-Impfstoff gegen COVID-19 zugelassen. BioNTech schrieb damit Medizingeschichte. Der Impfstoff wurde zum entscheidenden Instrument im Kampf gegen die Pandemie – hunderte Millionen Menschen weltweit erhielten ihn.
Finanziell katapultierte die Zulassung BioNTech in neue Sphären: Allein 2021 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von über 18 Milliarden Euro. Der Börsenwert stieg auf zeitweise über 100 Milliarden Dollar, Şahin und Türeci wurden zu Milliardären. Aus einem einstigen NoName der Biotechnologie war ein international bekannter Innovationsmotor geworden.
Konsolidierung und Fokus auf Onkologie (seit 2022)
Mit dem Abflauen der Pandemie begann auch für BioNTech ein strategischer Wandel. Die Umsätze aus dem COVID-19-Geschäft gingen zurück – 2023 auf 3,8 Milliarden Euro, 2024 nur noch rund 2,8 Milliarden Euro. Für das erste Quartal 2024 meldete das Unternehmen einen Nettoverlust von rund 315 Millionen Euro, für das Gesamtjahr wurde ein Jahresverlust von rund 700 Millionen Euro erwartet.
BioNTech hatte diesen Rückgang jedoch bereits antizipiert und seinen Fokus zurück auf das ursprüngliche Ziel gerichtet: personalisierte Krebsimmuntherapien. Die bestehende mRNA-Technologie wurde weiterentwickelt und in Richtung onkologische Anwendung angepasst. Mehrere klinische Studien zur Behandlung von Brust-, Haut- und Prostatakrebs liefen an oder wurden ausgeweitet.
Zudem investierte das Unternehmen massiv in Infrastruktur und Forschung – unter anderem in neue Standorte in Afrika, Australien und den USA. Der Aufbau globaler Produktionsstätten sicherte nicht nur Lieferketten, sondern diente auch der Vorbereitung auf künftige Pandemien und Forschungspartnerschaften.
Aktuelle Großtransaktionen: Weg vom NoName zum Mega-Player
Kooperation mit Bristol Myers Squibb
Im März 2024 gab BioNTech eine strategisch bedeutsame Kooperation mit dem US-Pharmakonzern Bristol Myers Squibb (BMS) bekannt. Ziel ist die gemeinsame Entwicklung des Wirkstoffs BNT327, einer mRNA-basierten Immuntherapie gegen solide Tumoren. Die Vereinbarung umfasst eine Vorauszahlung von 50 Millionen Dollar sowie erfolgsabhängige Meilensteinzahlungen in Höhe von bis zu 1,3 Milliarden Dollar.
Darüber hinaus umfasst die Partnerschaft den Zugang von BMS zu BioNTechs Technologieplattform, was die strategische Relevanz der Kooperation unterstreicht. Für BioNTech bedeutet der Deal einen weiteren Schritt in Richtung Global Player im Bereich Onkologie.
Übernahme von CureVac
Ein weiterer Meilenstein folgte im Juni 2025: BioNTech kündigte an, den einstigen mRNA-Konkurrenten CureVac aus Tübingen übernehmen zu wollen. Der Übernahmepreis: rund 1,25 Milliarden US-Dollar in einem reinen Aktiendeal. CureVac-Aktionäre sollen BioNTech-Aktien im Wert von 5,46 Dollar pro Anteil erhalten, was einer Bewertung entspricht, die deutlich über dem Börsenkurs lag.
CureVac war wie BioNTech ein Pionier im Bereich der mRNA-Forschung, hatte jedoch mit Rückschlägen in klinischen Studien zu kämpfen. Insbesondere die misslungene Entwicklung eines eigenen COVID-19-Impfstoffs schwächte das Unternehmen. Die Übernahme ermöglicht BioNTech nun den Zugang zu CureVacs Know-how, Technologien und Produktionskapazitäten – insbesondere in Tübingen und Deutschland.
Şahin betonte in einem Statement, dass CureVac als Forschungsstandort erhalten bleiben solle. Die Integration werde schrittweise erfolgen. Analysten werten die Übernahme als strategischen Coup: BioNTech sichert sich Patente, Fachkräfte und Produktionslinien, ohne dabei den eigenen Forschungsfokus zu verlieren.
Warum dieser Wandel erfolgreich ist
Die Transformation von BioNTech gelingt nicht zufällig. Die wissenschaftliche Tiefe und Breite der Forschungsansätze ermöglicht es dem Unternehmen, flexibel auf neue medizinische Herausforderungen zu reagieren. Während andere COVID-Impfstoffhersteller nach der Pandemie strauchelten oder sich auf kurzfristige Geschäftsmodelle verließen, investierte BioNTech gezielt in die Zukunft.
Dabei kommt dem Unternehmen seine Unabhängigkeit zugute. Durch hohe Eigenmittel – gespeist durch die Pandemieerfolge – ist BioNTech nicht auf kurzfristige Gewinne angewiesen, sondern kann langfristige strategische Allianzen eingehen. Die enge Verzahnung von Forschung, Entwicklung und Produktion an eigenen Standorten ermöglicht zudem hohe Qualitätskontrolle und Innovationsgeschwindigkeit.
Nicht zuletzt ist die Führungskultur entscheidend: Uğur Şahin und Özlem Türeci sind nicht nur Visionäre, sondern auch erfahrene klinische Forscher. Sie verstehen es, wissenschaftliche Tiefe mit unternehmerischem Weitblick zu kombinieren – ein seltenes Merkmal in der Pharmabranche.
Herausforderungen & Ausblick
Trotz aller Erfolge steht BioNTech vor großen Herausforderungen. Die Integration von CureVac birgt organisatorische und kulturelle Risiken. Es gilt, Doppelstrukturen zu vermeiden und Synergien sinnvoll zu heben, ohne das Tempo der klinischen Entwicklung zu gefährden.
Auch die Zusammenarbeit mit BMS ist kein Selbstläufer: Der Erfolg hängt maßgeblich vom Ausgang klinischer Studien ab. Rückschläge – wie sie etwa CureVac in früheren Krebsprojekten erlebte – können schwer wiegen, insbesondere bei hohen Erwartungen der Öffentlichkeit und Anleger.
Zudem wächst der Konkurrenzdruck. Große Pharmakonzerne wie Moderna, Roche oder AstraZeneca investieren massiv in eigene mRNA-Plattformen. Regulatorische Hürden, Patentrechtsfragen und Preisverhandlungen mit Krankenkassen werden zur Nagelprobe für neue Therapieansätze.
Eine beispiellose Entwicklung
BioNTech hat in weniger als zwei Jahrzehnten eine beispiellose Entwicklung durchlaufen: vom weitgehend unbekannten Startup zum milliardenschweren, weltweit anerkannten Akteur in der mRNA-basierten Medizin. Die COVID-19-Pandemie wurde zum Beschleuniger, doch der eigentliche Kern der Vision blieb bestehen: innovative Immuntherapien zur Bekämpfung schwerer Krankheiten.
Mit der Übernahme von CureVac und der Partnerschaft mit Bristol Myers Squibb richtet BioNTech seinen Kompass klar auf Onkologie. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob der neue Kurs von dauerhaftem Erfolg gekrönt sein wird. Die Chancen stehen gut – doch in der Biotechnologie ist selbst der steilste Aufstieg stets mit Unsicherheit verbunden.