Altersdepression – Symptome, Demenz und Therapie

altersdepression

Depressionen im höheren Lebensalter werden häufig übersehen – und unterschätzt. Dabei ist die sogenannte Altersdepression keine seltene Erscheinung. Studien gehen davon aus, dass etwa 15 bis 20 Prozent der über 65-Jährigen in Deutschland darunter leiden.

In Pflegeeinrichtungen sind es sogar bis zu 40 Prozent. Dennoch wird die Krankheit oft nicht erkannt – oder falsch diagnostiziert, etwa als Demenz.

Ein tragischer, aber aufrüttelnder Fall machte das Thema im Jahr 2025 erneut öffentlich: Der Unternehmer Wolfgang Grupp, ehemaliger Chef des Textilunternehmens Trigema, bekannte sich in einem bewegenden Brief an seine Mitarbeiter zu seiner Altersdepression und zu einem Suizidversuch. Er schrieb:

„Ich bin im 84. Lebensjahr und leide an sogenannten Altersdepressionen. Ich habe deswegen auch versucht, mein Leben zu beenden.“

Der Fall zeigt: Altersdepression betrifft nicht nur Pflegebedürftige oder sozial isolierte Menschen – sondern auch wirtschaftlich erfolgreiche, prominente Persönlichkeiten. Zeit also, sich diesem wichtigen Thema zu widmen.

Symptome einer Altersdepression

Die Symptome einer Altersdepression unterscheiden sich oft deutlich von denen jüngerer Betroffener. Statt über Traurigkeit oder Niedergeschlagenheit zu klagen, stehen häufig körperliche Beschwerden im Vordergrund.

  • Chronische Schmerzen (z. B. Rücken, Gelenke)
  • Appetitverlust und Gewichtsabnahme
  • Schlafstörungen, besonders Früherwachen
  • Müdigkeit und Energieverlust

Gleichzeitig treten klassische psychische Symptome auf, darunter Antriebslosigkeit, Interessenverlust, Schuldgefühle oder Ängste. Typisch ist ein Rückzug aus sozialen Aktivitäten. Viele Betroffene leben still vor sich hin – ihre Beschwerden werden als Alterserscheinung verkannt.

Ein besonders alarmierendes Symptom ist Suizidalität. Laut Deutscher Gesellschaft für Suizidprävention liegt die Suizidrate bei Männern über 75 Jahren in Deutschland mehr als dreimal so hoch wie im Bevölkerungsdurchschnitt. Der Fall Wolfgang Grupp zeigt exemplarisch, wie dramatisch sich eine unbehandelte Depression im Alter zuspitzen kann.

Altersdepression oder Demenz?

Ein großes diagnostisches Problem besteht in der Ähnlichkeit von Altersdepression und Demenz. Die sogenannte „depressive Pseudodemenz“ kann dazu führen, dass Depression fälschlich für eine beginnende Alzheimer-Erkrankung gehalten wird.

Hier einige Unterscheidungsmerkmale:

MerkmalAltersdepressionDemenz
BeginnPlötzlich (innerhalb von Wochen)Schleichend (über Monate/Jahre)
Bewusstsein für DefiziteBetroffene klagen über GedächtnisproblemeBetroffene leugnen oft ihre Defizite
TagesschwankungenStimmung oft morgens schlechterLeistungsfähigkeit meist gleichbleibend
KonzentrationBeeinträchtigt, aber prinzipiell vorhandenStark gestört, besonders in frühen Stadien

Ein erfahrener Arzt kann durch gezielte Tests wie den Mini-Mental-Status-Test (MMST) oder die Geriatrische Depressionsskala (GDS) eine erste Einschätzung geben. Wichtig ist: Depression kann auch ein Frühzeichen einer Demenz sein – oder deren Folge. Die Abgrenzung ist also komplex und individuell.

Ursachen und Risikofaktoren

Warum entwickeln Menschen im Alter eine Depression? Die Ursachen sind vielfältig:

  • Biologische Faktoren: Hirnstoffwechselstörungen, chronische Erkrankungen wie Diabetes oder Parkinson, Nebenwirkungen von Medikamenten.
  • Psychosoziale Faktoren: Verlust des Partners, Einsamkeit, Umzug ins Heim, Pensionierung, soziale Isolation.
  • Genetische Disposition: Vorerkrankungen in der Familie erhöhen das Risiko.

Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, betont:

„Altersdepression ist keine normale Reaktion auf das Altwerden. Sie ist eine ernstzunehmende Erkrankung, die behandelt werden muss.“

Diagnose – der Weg zur Klarheit

Der erste Ansprechpartner sollte immer der Hausarzt sein. Er kann abklären, ob körperliche Ursachen wie Schilddrüsenerkrankungen oder Vitaminmängel vorliegen. Anschließend können spezielle Verfahren zur Diagnostik eingesetzt werden:

  • Geriatrische Depressionsskala (GDS)
  • DemTect zur kognitiven Einschätzung
  • Mini-Mental-Status-Test (MMST)

In vielen Fällen ist eine Überweisung zu einem Psychiater oder Psychotherapeuten sinnvoll. Besonders wichtig ist, dass Ärzte und Angehörige sensibel auf Veränderungen reagieren – denn viele Betroffene sprechen aus Scham nicht über ihre Gefühle.

Therapiemöglichkeiten

Die gute Nachricht: Altersdepression ist behandelbar. Wie bei jüngeren Patienten stehen verschiedene Ansätze zur Verfügung.

Psychotherapie

Gerade kognitive Verhaltenstherapie hat sich bewährt. Auch die sogenannte Lebensrückblick-Therapie – bei der positive Lebenserfahrungen reflektiert werden – kann helfen. Gruppentherapien oder kreative Verfahren wie Musik-, Mal- oder Bewegungstherapie sind ebenfalls geeignet.

Medikamentöse Therapie

Bei schwereren Verläufen werden Antidepressiva eingesetzt, meist sogenannte SSRI (z. B. Citalopram, Sertralin). Sie sind für ältere Patienten verträglicher als ältere Wirkstoffklassen. Die Dosierung erfolgt vorsichtig, da Ältere empfindlicher auf Nebenwirkungen reagieren.

Alltagsstruktur und Bewegung

Ein geregelter Tagesablauf, soziale Kontakte und körperliche Aktivität gelten als unverzichtbar. Schon regelmäßige Spaziergänge, Seniorensport oder Gartenarbeit können die Stimmung deutlich verbessern. Studien zeigen, dass Bewegung ähnlich wirksam sein kann wie ein Antidepressivum – ganz ohne Nebenwirkungen.

Auch Angehörige spielen eine große Rolle. Sie können durch Zuwendung, Unterstützung bei Arztbesuchen oder Ermutigung zur Therapie enorm helfen.

Fallbeispiel Wolfgang Grupp

Im Mai 2025 ging ein Brief durch die Medien, der große Aufmerksamkeit erregte: Wolfgang Grupp, der über Jahrzehnte als charismatischer Unternehmer galt, schilderte offen seine Altersdepression:

„Ich habe versucht, mein Leben zu beenden. Dank meiner Familie und den Ärzten konnte ich diesen Schritt überleben. Ich werde nun in einer Klinik behandelt und hoffe, bald zurückzukehren.“

Dass sich eine so bekannte Persönlichkeit öffentlich äußert, ist selten – und wertvoll. Denn gerade ältere Männer sprechen selten über psychische Probleme. Grupp sendete eine wichtige Botschaft an alle Betroffenen:

„Meine Bitte an alle, die an Depressionen leiden: Suchen Sie sich professionelle Hilfe und begeben Sie sich in Behandlung.“

Prävention und Unterstützung

Was kann man tun, um Altersdepression vorzubeugen oder frühzeitig zu erkennen?

  • Soziale Aktivitäten und Kontakte pflegen
  • Hobbys und Interessen weiterverfolgen oder neu entdecken
  • Regelmäßige Bewegung und gesunde Ernährung
  • Gesprächsangebote annehmen – auch Onlineberatung ist möglich
  • Frühe medizinische Abklärung bei Schlafstörungen, Rückzug oder Appetitverlust

Für Angehörige gilt: Nehmen Sie Veränderungen ernst. Sätze wie „Ich will nicht mehr leben“ sind niemals harmlos – auch wenn sie beiläufig gesagt werden. Im Zweifel lieber einmal zu viel als zu wenig handeln.

Wichtige Anlaufstellen:

  • Telefonseelsorge: 0800 111 0 111 (kostenlos und anonym)
  • Info-Telefon Depression: 0800 33 44 533
  • www.deutsche-depressionshilfe.de

Eine ernstzunehmende Krankheit

Altersdepression ist keine Alterserscheinung, sondern eine ernstzunehmende Krankheit – mit Leidensdruck, Funktionsverlust und erhöhtem Suizidrisiko. Doch sie ist behandelbar. Eine Kombination aus Psychotherapie, Medikamenten, Bewegung und sozialer Einbindung kann älteren Menschen wieder Lebensfreude und Selbstvertrauen schenken.

Der Fall Wolfgang Grupp hat gezeigt: Altersdepression kann jeden treffen – aber niemand muss damit allein bleiben. Sein offenes Statement hat vielen Mut gemacht – und hoffentlich auch den Weg zur Hilfe geebnet.

Es liegt an uns allen – Angehörigen, Hausärzten, Pflegenden und der Gesellschaft –, die psychische Gesundheit im Alter stärker zu thematisieren. Denn: Für Lebensqualität ist es nie zu spät.

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