Warum riechen alte Menschen anders? Der Mythos vom „Alte-Leute-Geruch“ wissenschaftlich erklärt

alte Leute Geruch

Ein Phänomen, das viele kennen – aber kaum jemand anspricht

Fast jeder hat es schon erlebt: Man betritt die Wohnung der Großeltern oder eines älteren Menschen – und ein ganz bestimmter Geruch liegt in der Luft. Leicht muffig, ein wenig süßlich, aber nicht zwingend unangenehm. Dieser „Alte-Leute-Geruch“ ist ein weit verbreitetes, kulturübergreifendes Phänomen. Während er oft im Stillen hingenommen oder mit unpräzisen Ausdrücken beschrieben wird, hat sich die Wissenschaft längst mit seinen Ursachen beschäftigt. Was steckt hinter dem Geruch des Alterns – und warum verändert sich der Körpergeruch mit dem Alter?

Der Stoff, der den Unterschied macht: 2-Nonenal

Die zentrale Substanz, die im Verdacht steht, für den typischen Geruch älterer Menschen verantwortlich zu sein, heißt 2-Nonenal. Dabei handelt es sich um eine ungesättigte Aldehydverbindung, die bei der Oxidation von Omega-7-Fettsäuren auf der Haut entsteht. Dieser Stoff wurde erstmals in den 2000er Jahren in japanischen Studien als altersassoziierter Geruchsträger identifiziert.

„Ab einem Alter von etwa 40 Jahren nimmt die Konzentration von 2-Nonenal messbar zu“, erklärt die Dermatologin Dr. Sayo Matsumura vom Monell Chemical Senses Center in Philadelphia, die an mehreren internationalen Studien zu Geruchsveränderungen im Alter beteiligt war. „Es handelt sich dabei nicht um mangelnde Hygiene, sondern um einen natürlichen biochemischen Prozess.“

2-Nonenal hat einen eigenartigen Geruch: leicht fettig, etwas grünlich, mit einer Note, die manche als „pappig“ oder „ranzig“ empfinden. Interessanterweise wird dieser Stoff in der Industrie zur Herstellung von Aromen genutzt – etwa um bestimmten Parfüms eine „alte“ oder nostalgische Note zu verleihen.

Mehr als nur ein Molekül: Was noch zum Geruch beiträgt

Neben 2-Nonenal identifizierte die Forschung auch andere Substanzen, die mit dem Alter vermehrt auftreten. Dazu zählen Benzothiazol, Dimethylsulfon und Nonanal. Diese können – je nach individueller Veranlagung, Ernährung und Stoffwechsel – den persönlichen Duft jedes Menschen mitformen.

Im Alter verändert sich zudem die Haut selbst: Sie wird trockener, verliert an Elastizität und produziert weniger Talg. Dieser Umstand beeinflusst die Zusammensetzung des Mikrofilms auf der Haut und somit auch die Wechselwirkung mit Mikroorganismen. Die Bakterienflora verschiebt sich – und damit auch die Geruchsentwicklung.

Gerüche als evolutionäres Signal?

Warum der menschliche Körper mit zunehmendem Alter einen anderen Duft entwickelt, ist nicht nur eine biochemische Frage, sondern auch eine evolutionäre. Einige Wissenschaftler vermuten, dass Gerüche im Alter eine soziale Funktion erfüllen – etwa um Alter oder Reproduktionsfähigkeit zu signalisieren. In Tiergesellschaften ist dies gut belegt: Bei Nagetieren oder Primaten spielen Duftstoffe eine große Rolle für soziale Hierarchien und Fortpflanzung.

Die Gerontologin Prof. Elena Wysocki von der Universität Köln meint: „Auch beim Menschen könnte der Alterungsgeruch unbewusst als Orientierung dienen. Inwieweit das in unserer heutigen Gesellschaft noch eine Rolle spielt, ist offen – aber instinktive Reaktionen auf Gerüche sind tief im limbischen System verankert.“

Was Studien zeigen: Wahrnehmung und Realität

Eine bekannte Untersuchung des Monell Chemical Senses Center aus dem Jahr 2012 zeigte Erstaunliches: Probanden konnten den Geruch älterer Menschen (75–95 Jahre) aus benutzten T-Shirts in rund 88 % der Fälle richtig zuordnen. Interessanterweise wurden die Gerüche älterer Personen sogar als weniger unangenehm bewertet als die von jungen Männern im Alter von 20–30 Jahren.

„Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass der Geruch älterer Menschen abstoßend sei“, so Hauptautor Johan Lundström. „Er ist lediglich anders – weniger intensiv, weniger schweiß- oder hormonlastig.“

Allerdings hängt die Wahrnehmung stark von kulturellen und individuellen Faktoren ab. In Japan etwa hat der Begriff Kareishū („Geruch des Alters“) einen festen Platz in der Populärkultur. Dort wurden sogar spezielle Pflegeprodukte gegen den Altersgeruch entwickelt – etwa Seifen mit Grüntee- oder Persimmon-Extrakten.

Was den Geruch verstärken kann

1. Nachlassende Körperpflege

Mit zunehmendem Alter werden Bewegungen beschwerlicher. Manche ältere Menschen können sich nicht mehr regelmäßig duschen oder waschen. Auch das Reinigen schwer erreichbarer Körperstellen wird schwieriger. „Pflegebedürftige Senior:innen benötigen häufig Unterstützung – aber aus Scham wird das Thema oft ignoriert“, sagt Pflegeberaterin Elke Neuhaus.

2. Textilien und Raumluft

Gerüche lagern sich in Stoffen ab. Kleidung, Bettwäsche, Vorhänge oder Sofapolster speichern Hautfett, Schweiß und Duftstoffe. In schlecht gelüfteten Räumen kann sich dieser Geruch mit der Zeit verstärken – auch wenn es hygienisch sauber ist. Eine Studie der Universität Berkeley zeigte, dass sich 2-Nonenal besonders stark in Baumwollstoffen anlagert und dort über Wochen bestehen bleibt.

3. Medikamente und Krankheiten

Auch bestimmte Erkrankungen und Medikamente verändern den Körpergeruch – etwa Diabetes, Leberprobleme oder Harnwegsinfekte. Sie können zu metallischen, süßlichen oder säuerlichen Duftnoten führen. Medikamente wie Betablocker oder Psychopharmaka verändern ebenfalls die Schweißzusammensetzung.

4. Ernährung und Lebensstil

Knoblauch, Zwiebeln, Alkohol oder Nikotin – all diese Substanzen hinterlassen Spuren im Atem und auf der Haut. Menschen, die wenig trinken oder sich einseitig ernähren, neigen eher zu unangenehmen Ausdünstungen. Ein Mangel an frischem Obst und Gemüse kann die antioxidative Abwehr der Haut verringern – was wiederum die Bildung von 2-Nonenal begünstigt.

Was man dagegen tun kann – ohne Zwang zur „Geruchsneutralität“

„Es geht nicht darum, den natürlichen Körperduft zu eliminieren“, sagt Umweltmediziner Dr. Franz Petrow. „Vielmehr darum, unangenehme Verstärkungen zu vermeiden und sich wohl in seiner Haut zu fühlen.“

  • Regelmäßige Körperpflege: Milde Seifen, rückfettende Cremes und tägliche Reinigung helfen, Rückstände von 2‑Nonenal zu reduzieren.
  • Frische Textilien: Kleidung häufig wechseln und heiß waschen (mind. 60 °C) – besonders Unterwäsche und Bettlaken.
  • Lüften und Luftreiniger: Regelmäßiges Stoßlüften, HEPA-Filter oder Aktivkohlefilter reduzieren flüchtige Verbindungen in der Raumluft.
  • Ernährung: Viel Flüssigkeit, antioxidative Lebensmittel wie Beeren, Nüsse, grünes Gemüse – das hilft der Hautgesundheit.
  • Japanische Spezialprodukte: In Asien sind Seifen mit persimmon (Kaki) oder Grüntee-Extrakt gegen Altersgeruch verbreitet. Sie neutralisieren Aldehyde effektiv.

Würdevolle Kommunikation – das Tabu entkräften

Ein sensibles Thema wie Geruch sollte niemals zur Kränkung oder Ausgrenzung führen. „Es braucht Mut, aber auch Taktgefühl“, so die Sozialpädagogin Anne Kupfer. „Angehörige sollten eher unterstützend fragen: Möchtest du Hilfe beim Duschen? Oder Kleidung zusammen waschen? Das ist liebevolle Fürsorge – keine Kritik.“

Wichtig ist, dass ältere Menschen sich nicht als „unangenehm“ empfinden – sondern als Menschen, deren Körper sich wandelt. Ein wohlwollender, offener Umgang mit Geruchswahrnehmungen kann helfen, das Thema zu enttabuisieren.

Der Duft des Alters ist kein Makel

Der sogenannte Alte-Leute-Geruch ist kein Zeichen von Vernachlässigung, sondern ein Ergebnis natürlicher biologischer Prozesse. 2-Nonenal und andere altersbedingte Substanzen verändern den Körperduft – meist subtil, nicht zwangsläufig negativ. Durch gute Pflege, frische Umgebung und gesunden Lebensstil lässt sich ein angenehmer Eigengeruch bewahren.

Die Gesellschaft ist gefragt, dieses Thema aus der Ecke des Spotts oder der Beschämung zu holen. Denn Altern betrifft uns alle – und mit Empathie lässt sich vieles in Würde gestalten.

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