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Stillstand macht krank – Bewegungsmangel in Deutschland

Bewegung ist eine der grundlegendsten menschlichen Tätigkeiten – und doch wird sie in der modernen Gesellschaft zunehmend vernachlässigt.

Deutschland ist von einem gefährlichen Trend betroffen: Bewegungsmangel. Zwischen Büroarbeit, digitalen Freizeitbeschäftigungen und strukturellen Barrieren des Alltags verlieren viele Menschen die körperliche Aktivität aus dem Blick. Die Folgen sind gravierend – für Individuen wie für die Gesellschaft insgesamt.

Der Status Quo in Deutschland

Kinder und Jugendliche

Die Bewegung von Kindern und Jugendlichen hat in den letzten Jahren dramatisch abgenommen. Besonders betroffen ist die Altersgruppe der 8- bis 12-Jährigen, die laut aktuellen Studien zur neuen Risikogruppe zählt. Während vor wenigen Jahrzehnten Schulsport, Pausenspiele und aktive Freizeitgestaltung noch selbstverständlich waren, dominieren heute Bildschirmzeit und sitzende Tätigkeiten den Alltag junger Menschen. Laut einer Untersuchung erreichen lediglich 10 Prozent der Mädchen und 21 Prozent der Jungen in Deutschland die von der WHO empfohlene tägliche Bewegungszeit von mindestens 60 Minuten.

Die Ursachen sind vielfältig: Neben der Digitalisierung des Freizeitverhaltens tragen auch verkürzte Schulpausen, ein reduziertes Sportangebot und das häufige Bringen und Abholen mit dem Auto zur Inaktivität bei. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklungen verstärkt – geschlossene Sportvereine, kontaktlose Schulzeiten und eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten führten zu einem teils dramatischen Rückgang der körperlichen Aktivität.

Erwachsene

Auch bei Erwachsenen sieht das Bild nicht besser aus. Nur rund 42 Prozent der Erwachsenen in Deutschland erreichen das Mindestmaß von 150 Minuten moderater Bewegung pro Woche, wie es von der WHO empfohlen wird. Die Quote derjenigen, die zusätzlich muskelkräftigende Aktivitäten durchführen, liegt noch niedriger – bei unter 25 Prozent. Besonders alarmierend: Rund jeder achte Erwachsene bewegt sich fast gar nicht.

Der moderne Alltag ist von Bewegungsarmut geprägt: Büroarbeit, Pendeln im Auto oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln und abendliche Erholung vor dem Fernseher summieren sich zu einem sitzlastigen Lebensstil. Die durchschnittliche tägliche Sitzzeit beträgt mittlerweile zwischen fünf und sieben Stunden – Tendenz steigend.

Gesellschaftlicher Trend

Die Langzeitentwicklung ist eindeutig: Seit 2001 hat die physische Inaktivität weltweit um etwa 15 Prozent zugenommen – und Deutschland reiht sich nahtlos in diesen Trend ein. Die Ursachen liegen nicht allein im individuellen Verhalten, sondern sind struktureller Natur: Städte werden oft nicht bewegungsfreundlich geplant, Radwege fehlen, Schulhöfe sind asphaltiert, und viele Arbeitsplätze lassen kaum Zeit für körperliche Aktivität.

Gesundheitsrisiken und gesellschaftliche Folgen

Die gesundheitlichen Folgen von Bewegungsmangel sind gut dokumentiert und weitreichend. Zu den häufigsten Erkrankungen, die durch Bewegungsarmut begünstigt werden, zählen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, Adipositas und bestimmte Krebsarten. Hinzu kommen psychische Belastungen wie Depressionen und Angststörungen, die oft durch mangelnde Bewegung verstärkt werden.

Ein Beispiel: Wer mehr als acht Stunden täglich sitzt und sich daneben kaum körperlich betätigt, hat ein um bis zu 60 Prozent erhöhtes Risiko für vorzeitige Sterblichkeit. Ein Zitat eines Gesundheitsforschers bringt es auf den Punkt: „Sitzen ist das neue Rauchen.“

Auch das Gesundheitssystem leidet unter den Folgen. Laut Schätzungen verursachen Bewegungsmangel und die damit verbundenen Erkrankungen direkte Kosten von rund 2,8 Milliarden Euro jährlich. Die indirekten Kosten – etwa durch Produktivitätsverlust oder Arbeitsausfall – sind noch erheblich höher. Pro inaktive Person entstehen so im Schnitt über 600 Euro Zusatzkosten pro Jahr.

Ursachen der Entwicklung

Die Ursachen für Bewegungsmangel in Deutschland sind vielschichtig. Die Digitalisierung hat nicht nur die Arbeitswelt verändert, sondern auch den privaten Alltag. Bildschirmzeit ersetzt zunehmend aktive Freizeitgestaltung. Gleichzeitig hat sich die Arbeitswelt verändert: Immer mehr Menschen arbeiten in Büros oder im Homeoffice, häufig ohne jeglichen körperlichen Ausgleich.

Ein strukturelles Problem ist auch die Infrastruktur. Viele Städte sind autogerecht gebaut – Fußwege, sichere Radwege oder Grünflächen für Bewegung fehlen. Kinder dürfen sich oft nicht mehr frei bewegen, weil Straßen unsicher sind oder Eltern Ängste vor Gefahren haben.

Auch soziale Faktoren spielen eine Rolle. Frauen und Mädchen bewegen sich im Schnitt weniger als Männer. Ältere Menschen sind oft körperlich eingeschränkt oder haben keinen Zugang zu bewegungsfördernden Angeboten. Besonders betroffen sind außerdem Menschen mit geringem sozioökonomischem Status, die häufig in bewegungsunfreundlichen Umgebungen leben.

Initiativen und politische Maßnahmen

Angesichts dieser Entwicklung haben Bund, Länder und Kommunen in den letzten Jahren verschiedene Initiativen gestartet. Die Bundesinitiative IN FORM, 2008 ins Leben gerufen, fördert gesundes Essen und mehr Bewegung. Seit 2019 liegt ein Fokus verstärkt auf konkreten Projekten in Kitas, Schulen und Unternehmen.

2022 wurde der „Runde Tisch Bewegung und Gesundheit“ ins Leben gerufen, um koordinierte Maßnahmen zu erarbeiten. Im März 2024 fand der erste Bewegungsgipfel statt, bei dem ein Konsenspapier verabschiedet wurde. Es enthält Handlungsempfehlungen, um Bewegung systematisch in Alltag, Bildung, Beruf und Stadtplanung zu integrieren.

Ein weiterer Schritt ist der Aufbau des Dialogs „Aktive Mobilität“, bei dem es um die Förderung von Fuß- und Radverkehr geht. Ziel ist es, durch Infrastrukturmaßnahmen – wie sichere Radwege oder fußgängerfreundliche Stadtteile – Alltagsbewegung zu erleichtern.

Praxisbeispiele und Alltagstipps

Bewegung im Berufsalltag

Viele Menschen verbringen einen Großteil ihres Tages im Sitzen – sei es im Büro oder im Homeoffice. Dabei lassen sich mit kleinen Veränderungen große Effekte erzielen. Der Artikel des RedaktionsNetzwerks Deutschland empfiehlt unter anderem:

  • Telefonate im Stehen oder beim Gehen führen
  • Regelmäßige kurze Bewegungspausen einlegen
  • Treppen statt Aufzüge nutzen
  • Meetings im Gehen abhalten („Walk & Talk“)

Auch Unternehmen können helfen: durch ergonomische Arbeitsplätze, Fitnessangebote im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements oder Anreize für aktive Arbeitswege.

Schulen und Kinderförderung

Ein gelungenes Beispiel für Prävention im Kindesalter ist die Initiative „Deutschlands fitteste Grundschule“. Über 350 Schulen haben 2025 teilgenommen. Das Programm motiviert mit kreativen Bewegungsspielen, Projekttagen und elternbegleitenden Angeboten. Die Wirkung ist messbar: Mehr Bewegung im Schulalltag führt zu besserer Konzentration, weniger Stress und höherem sozialen Zusammenhalt.

Bewegungsfreundliche Städte

Auch die Stadtplanung kann einen entscheidenden Beitrag leisten. Eine fußgängerfreundliche Infrastruktur, sichere Radwege, wohnortnahe Parks und Sportplätze motivieren zur Alltagsbewegung. Ein Beispiel ist die Stadt Freiburg, die in zahlreichen Rankings für ihre Radwege und das Konzept der „Stadt der kurzen Wege“ gelobt wird.

Handlungsempfehlungen

Bewegung darf nicht nur als Freizeitaktivität betrachtet werden, sondern muss in das tägliche Leben integriert werden. Dafür braucht es gemeinsame Anstrengungen auf vielen Ebenen:

  • Politik: Bewegung muss systematisch in Bildungspläne, Stadtentwicklung und Gesundheitsstrategien integriert werden.
  • Schulen: Tägliche Bewegungszeiten, bewegte Pausen, aktive Wege zur Schule fördern.
  • Arbeitgeber: Bewegungspausen ermöglichen, Steharbeitsplätze anbieten, Anreize für aktive Wege schaffen.
  • Individuum: Bewusstsein schärfen, Bewegung bewusst in den Alltag einbauen – jede Minute zählt.

Ein prägnantes Zitat einer Sportwissenschaftlerin bringt es auf den Punkt: „Es braucht keine Marathons. Es reicht, wenn wir uns wieder trauen, zu Fuß zur Bäckerei zu gehen.“

Ein stiller Trend

Bewegungsmangel ist ein stiller, aber äußerst gefährlicher Trend. Er betrifft Kinder wie Erwachsene, hat tiefgreifende gesundheitliche und wirtschaftliche Folgen und wird durch gesellschaftliche Strukturen verstärkt. Doch es gibt Wege, gegenzusteuern. Mehr Bewegung im Alltag ist möglich – durch Aufklärung, strukturelle Veränderungen und eine Kultur der Aktivität. Denn letztlich ist Bewegung nicht nur ein Beitrag zur Gesundheit – sondern auch zur Lebensfreude.

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