
Die Pflege von Angehörigen in den eigenen vier Wänden ist für viele Familien zur täglichen Herausforderung geworden. Rund 80 Prozent aller Pflegebedürftigen in Deutschland werden zu Hause betreut – meist von ihren Angehörigen, häufig ohne professionelle Hilfe.
Diese Pflege ist mit erheblichen körperlichen, psychischen und organisatorischen Belastungen verbunden. Dennoch bleiben viele staatliche Unterstützungsangebote ungenutzt. Milliarden Euro an Pflegeleistungen verfallen jährlich, weil Betroffene entweder nicht wissen, was ihnen zusteht, oder weil die bürokratischen Hürden zu hoch sind.
Zwei der wichtigsten Leistungen zur Unterstützung pflegender Angehöriger sind die Verhinderungs- und die Kurzzeitpflege. Beide ermöglichen eine Entlastung – entweder bei temporärer Abwesenheit der pflegenden Person oder bei vorübergehender stationärer Betreuung. Mit der Pflegereform 2025 wurden beide Leistungen flexibler gestaltet und teilweise zusammengeführt. Dieser Artikel erläutert die zentralen Unterschiede, die Voraussetzungen sowie die neuen Möglichkeiten der Inanspruchnahme ab Juli 2025.
Was ist Verhinderungspflege?
Verhinderungspflege – auch Ersatzpflege genannt – greift dann, wenn die private Pflegeperson ausfällt. Gründe dafür können Krankheit, Urlaub oder eine persönliche Überlastung sein. In solchen Fällen kann die Pflege vorübergehend von einer anderen Person übernommen werden. Dies können Familienmitglieder, Freunde oder auch professionelle Pflegekräfte sein.
Bis Ende Juni 2025 galten folgende Voraussetzungen: Die pflegebedürftige Person musste mindestens Pflegegrad 2 haben und zuvor sechs Monate lang regelmäßig von einer privaten Person gepflegt worden sein. Seit der Pflegereform 2025 wurde die Voraussetzung der sechsmonatigen Vorpflege abgeschafft – eine große Erleichterung für viele Betroffene, insbesondere bei plötzlichem Pflegebedarf.
Der Leistungsumfang betrug bisher jährlich bis zu 1.612 Euro für maximal 42 Kalendertage. Ab Juli 2025 fällt dieser feste Rahmen weg: Verhinderungs- und Kurzzeitpflege werden in ein gemeinsames Jahresbudget überführt – was mehr Flexibilität schafft, aber auch Planung erfordert. Zudem können auch stundenweise Einsätze der Verhinderungspflege abgerechnet werden, was pflegende Angehörige bei kurzen Auszeiten (z. B. Arztbesuchen) entlastet.
Was ist Kurzzeitpflege?
Die Kurzzeitpflege hingegen ist eine vollstationäre Maßnahme. Sie wird in Anspruch genommen, wenn die häusliche Pflege vorübergehend nicht möglich oder nicht zumutbar ist – etwa nach einem Krankenhausaufenthalt oder bei Krisensituationen im familiären Umfeld. In spezialisierten Einrichtungen wird die pflegebedürftige Person für mehrere Tage oder Wochen betreut.
Die Voraussetzungen ähneln denen der Verhinderungspflege: Auch hier ist Pflegegrad 2 die Mindestbedingung. Die Kurzzeitpflege kann bis zu acht Wochen im Jahr genutzt werden. Bisher stand dafür ein Höchstbetrag von 1.774 Euro pro Jahr zur Verfügung. Auch diese Grenze ist seit Juli 2025 Bestandteil des neuen gemeinsamen Entlastungsbudgets.
Ein weiterer Vorteil: Während der stationären Kurzzeitpflege zahlt die Pflegekasse weiterhin 50 Prozent des regulären Pflegegeldes an die zu pflegende Person. Dies reduziert finanzielle Einbußen während der Abwesenheit aus der häuslichen Umgebung.
Das gemeinsame Entlastungsbudget ab Juli 2025
Ein zentraler Bestandteil der Pflegereform ist die Zusammenlegung von Verhinderungs- und Kurzzeitpflege in ein gemeinsames „Entlastungsbudget“. Seit Juli 2025 steht pflegebedürftigen Personen mit Pflegegrad 2 oder höher ein Gesamtbetrag von bis zu 3.539 Euro jährlich zur Verfügung, den sie flexibel für beide Leistungen einsetzen können.
Diese Neuerung bedeutet: Familien müssen sich nicht mehr zwischen Verhinderungs- und Kurzzeitpflege entscheiden oder starre Budgetgrenzen einhalten. Wer beispielsweise nur selten stationäre Betreuung benötigt, kann den Großteil des Budgets für Ersatzpflege im häuslichen Umfeld verwenden – oder umgekehrt.
Diese Flexibilität erlaubt es Angehörigen, ihre Entlastung individueller zu gestalten. Besonders hilfreich ist das für Familien mit unregelmäßigen Pflegebedarfen oder plötzlichen Ausfallzeiten. Die Pflegereform räumt zudem mit dem Missstand auf, dass ein erheblicher Teil des Pflegebudgets Jahr für Jahr ungenutzt bleibt.
Kombinationsmöglichkeiten und Flexibilität
Die neue Regelung erlaubt nicht nur eine gemeinsame Nutzung beider Pflegeformen, sondern auch eine flexible stunden- und tageweise Abrechnung. So können pflegende Angehörige beispielsweise für ein verlängertes Wochenende Verhinderungspflege organisieren und für einen späteren Zeitpunkt – etwa nach einer Operation – Kurzzeitpflege in einer Einrichtung beantragen.
Auch Umschichtungen sind möglich: Wird die Kurzzeitpflege nicht vollständig ausgeschöpft, kann der verbleibende Betrag für Ersatzpflege verwendet werden. Diese neue Gestaltungsmöglichkeit verbessert insbesondere die Planbarkeit für berufstätige Angehörige oder bei der Betreuung von Kindern mit Pflegegrad.
Zudem ist es erlaubt, das Budget rückwirkend geltend zu machen – ein Vorteil für Betroffene, die erst im Nachhinein von ihren Rechten erfahren oder die bürokratische Hürden zunächst abgeschreckt haben.
Antragstellung und Bürokratie
Trotz der positiven Reformen bleibt die Antragstellung eine Herausforderung für viele Betroffene. In der Regel muss der Antrag auf Verhinderungs- oder Kurzzeitpflege bei der zuständigen Pflegekasse gestellt werden – am besten vor Inanspruchnahme der Leistung. In Ausnahmefällen ist auch eine rückwirkende Abrechnung möglich.
Benötigt werden meist:
- Pflegegradbescheid (mind. Pflegegrad 2)
- Nachweis über die Pflegezeit (z. B. Pflegeprotokolle)
- Rechnungen der Ersatzpflegepersonen oder Einrichtungen
Patientenschützer wie Eugen Brysch kritisieren, dass viele Leistungen nach wie vor nicht beantragt werden – entweder aus Unwissen oder wegen übertriebener Bürokratie. In einem aktuellen Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland betont Brysch: „Wer zu Hause pflegt, ist nach wie vor zu wenig entlastet.“ Die Reformen seien ein Schritt in die richtige Richtung, aber längst nicht ausreichend.
Aktuelle Entwicklungen und gesellschaftliche Debatte
Die Pflegeversicherung steht vor enormen Herausforderungen: Einer alternden Gesellschaft stehen knappe Ressourcen gegenüber. Die Bundesregierung hat mit der Pflegereform 2025 erste Entlastungsmaßnahmen umgesetzt, doch Experten fordern weitergehende Schritte. Insbesondere die bessere Information pflegender Angehöriger, digitale Antragssysteme und eine automatische Beratung bei Pflegegrad-Feststellung sind dringend nötig.
Laut Verbraucherzentrale werden rund 40 Prozent der möglichen Leistungen aus Unkenntnis nicht in Anspruch genommen. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz fordert eine umfassende Aufklärungskampagne und niedrigschwellige Beratung in allen Kommunen.
Tipps für Betroffene
Um die Leistungen zur Entlastung der häuslichen Pflege optimal zu nutzen, sollten pflegende Angehörige folgende Punkte beachten:
- Pflegegrad prüfen lassen: Nur mit Pflegegrad 2 oder höher bestehen Ansprüche.
- Pflegekasse kontaktieren: Viele Kassen bieten Vorlagen für die Antragstellung oder telefonische Beratung.
- Pflegestützpunkte aufsuchen: Kostenlose Anlaufstellen helfen bei der Koordination und Organisation der Pflege.
- Budget vollständig nutzen: Das neue Entlastungsbudget erlaubt flexible Kombinationen – nicht genutzte Beträge verfallen.
- Kostenbelege aufbewahren: Rechnungen oder Quittungen sind für die Abrechnung zwingend nötig.
Zudem lohnt sich ein Blick auf zusätzliche Entlastungsangebote wie den Entlastungsbetrag (125 €/Monat), Pflegehilfsmittel oder Tagespflege. Auch steuerliche Erleichterungen sind für Pflegepersonen möglich.
Vereinfachung und Flexibilisierung
Pflege zu Hause ist eine Herkulesaufgabe – für Betroffene wie für ihre Angehörigen. Die Leistungen der Verhinderungs- und Kurzzeitpflege bieten wichtige Entlastung, werden jedoch viel zu selten in Anspruch genommen. Mit der Reform zum 1. Juli 2025 ist ein erster Schritt zur Vereinfachung und Flexibilisierung gemacht worden: Ein gemeinsames Entlastungsbudget bringt mehr Freiheit bei der Organisation der Pflege.
Dennoch bleibt viel zu tun. Die Herausforderungen in der häuslichen Pflege erfordern nicht nur flexible Leistungen, sondern auch mehr Unterstützung im Alltag, bessere Aufklärung und den Abbau bürokratischer Hürden. Angehörige, die Pflege leisten, verdienen nicht nur Dank, sondern auch konkrete Hilfe – finanziell, organisatorisch und emotional.
Wer sich rechtzeitig informiert, Beratung einholt und die Angebote der Pflegeversicherung gezielt nutzt, kann spürbare Entlastung schaffen – für sich selbst und für die Menschen, die ihm am Herzen liegen.