Adipositas und das biologische Alter – Wie Übergewicht den Körper schneller altern lässt

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Adipositas – also starkes Übergewicht – ist längst keine Ausnahmeerscheinung mehr. Weltweit sind laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) rund 1 Milliarde Menschen betroffen, Tendenz steigend.

Während Übergewicht häufig mit kardiovaskulären Risiken, Diabetes oder Gelenkbeschwerden in Verbindung gebracht wird, zeigen aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse eine noch gravierendere Folge: Adipositas lässt den Körper schneller altern – und zwar biologisch.

Das sogenannte „biologische Alter“ beschreibt, wie alt unser Körper wirklich ist – unabhängig vom Geburtsdatum. Es basiert auf epigenetischen Markern wie der Telomerlänge, Entzündungsprozessen und der Zellregeneration. Forscher:innen konnten nun nachweisen, dass stark übergewichtige Menschen, insbesondere im jungen Erwachsenenalter, einen signifikant beschleunigten Alterungsprozess durchlaufen.

Wie Adipositas das biologische Alter beeinflusst

Epigenetische Veränderungen und verkürzte Telomere

Eine aktuelle chilenische Studie, veröffentlicht im „Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism“, hat den Zusammenhang zwischen Adipositas und biologischem Altern erstmals konkret quantifiziert. Die Untersuchung analysierte epigenetische Uhren – molekulare Biomarker, die das Alter von Zellen bestimmen – bei jungen Erwachsenen mit starkem Übergewicht. Das Ergebnis war alarmierend: Ihr biologisches Alter lag durchschnittlich um 15 bis 16 Prozent über dem tatsächlichen. In Extremfällen betrug die Differenz bis zu 50 Prozent.

„Wir waren überrascht, wie deutlich sich das Übergewicht in der epigenetischen Alterung niederschlägt“, erklärte Studienleiterin Dr. Ximena Mora. „Besonders auffällig war, dass dieser Effekt schon bei jungen Menschen unter 30 nachweisbar ist.“

Ein zentrales Element dieser Veränderung sind die Telomere – Schutzkappen an den Enden der Chromosomen. Sie verkürzen sich bei jeder Zellteilung. Ist ein kritisches Längenmaß unterschritten, stirbt die Zelle ab oder wird funktionsuntüchtig. Adipositas beschleunigt diesen Prozess deutlich.

Chronische Entzündungen und „Inflammaging“

Starkes Übergewicht ist nicht nur eine Frage des Kalorienüberschusses – es verändert auch das innere Milieu des Körpers. Fettgewebe, vor allem viszerales Bauchfett, ist hochgradig stoffwechselaktiv und produziert entzündungsfördernde Botenstoffe wie Interleukin-6 (IL-6) und Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-α). Diese führen zu einer chronischen systemischen Entzündungsreaktion, bekannt als „Inflammaging“ – eine Kombination aus Entzündung und Alterung.

„Adipöse Menschen weisen häufig erhöhte Entzündungswerte auf, selbst wenn keine akute Infektion vorliegt“, erläutert Prof. Dr. Hans Hauner vom Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin. „Diese stille Entzündung schädigt Organe, Gefäße und das Immunsystem über Jahre hinweg.“

Ein weiterer beteiligter Mechanismus ist die gestörte Hormonregulation, insbesondere des Wachstumshormon-Systems (IGF-1, IGF-2). Diese Substanzen beeinflussen Zellteilung und -reparatur – Prozesse, die mit zunehmendem Alter ohnehin verlangsamt werden. Adipositas beschleunigt diesen Rückgang.

Negative Auswirkungen auf Gehirn und Gefäße

Die Alterung betrifft nicht nur die Zellen, sondern auch komplexe Organsysteme. Das Gehirn adipöser Menschen zeigt bereits in frühen Jahren strukturelle und funktionelle Veränderungen. Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften fand heraus, dass bei adipösen Probanden das sogenannte Default Mode Network (DMN) – ein neuronales Netzwerk, das mit Selbstreflexion und Gedächtnisprozessen zusammenhängt – beeinträchtigt ist. Diese Veränderungen sind typisch für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson.

Auch die Gefäße altern schneller. Adipositas fördert Atherosklerose, reduziert die Elastizität der Arterien und erhöht den Blutdruck. Die bekannte Framingham-Studie errechnete, dass adipöse Männer im Alter von 40 Jahren mit einer durchschnittlich 6,5 Jahre geringeren Lebenserwartung rechnen müssen – Frauen verlieren sogar bis zu 7 Jahre gesunde Lebenszeit.

Folgeerkrankungen durch beschleunigte Alterung

Die Liste der durch Adipositas induzierten Krankheiten ist lang: Typ-2-Diabetes, koronare Herzkrankheit, Schlaganfall, Krebs, Leberverfettung, Gicht, Gelenkerkrankungen wie Arthrose – und zunehmend auch kognitive Einschränkungen.

Laut der Stiftung Gesundheitswissen ist das Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken, bei Menschen mit Adipositas um das Siebenfache erhöht. Auch die Wahrscheinlichkeit, an Bluthochdruck oder Herzinfarkt zu leiden, steigt signifikant. Bereits im mittleren Alter kann die Leber durch die sogenannte nicht-alkoholische Fettleber (NAFLD) schwer geschädigt sein – ein häufig unterschätzter Faktor.

Beispielhaft ist der Fall von Anna M. (27) aus Leipzig. Sie wog bei einer Körpergröße von 1,65 m über 120 Kilogramm und litt trotz jungen Alters bereits unter Gelenkverschleiß, Bluthochdruck und chronischer Müdigkeit. Nach einer Umstellung ihres Lebensstils und dem Verlust von 35 Kilogramm berichtete sie: „Ich fühle mich, als hätte ich mein Leben zurückbekommen – nicht nur körperlich, sondern auch geistig.“

Gibt es „gesunde Dicke“? Eine kritische Differenzierung

In den letzten Jahren tauchte der Begriff „metabolisch gesunde Adipositas“ auf – eine Bezeichnung für übergewichtige Personen, die keine typischen Folgeerkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck aufweisen. Doch dieser Zustand ist oft temporär.

Eine Studie der University of Michigan zeigte: Bereits nach 10 Jahren hatten 50 Prozent der vermeintlich „gesunden Dicken“ einen oder mehrere Risikofaktoren entwickelt. Besonders kritisch ist dabei das viszerale Fett. Selbst bei normalem BMI, aber hohem Bauchfettanteil, kann das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht sein.

Ein weiteres Problem: Der BMI ist nur ein grobes Maß und unterscheidet nicht zwischen Muskel- und Fettmasse. Aussagekräftiger sind die Taillen-Hüft-Ratio oder bildgebende Verfahren zur Messung des Fettanteils.

Verlangsamung des biologischen Alterns – ist das möglich?

Gewichtsreduktion zeigt messbare Effekte

Studien belegen, dass sich das biologische Alter durch gezielte Maßnahmen nicht nur verlangsamen, sondern auch teilweise rückgängig machen lässt. Insbesondere bariatrische Operationen – wie Magenverkleinerung oder Magenbypass – zeigen erstaunliche Effekte. Eine Studie der Universität Laval in Kanada belegt, dass das Gehirnalter von Patienten nach einem solchen Eingriff um bis zu fünf Jahre „verjüngt“ werden kann.

Auch nicht-chirurgische Maßnahmen sind wirksam. Eine Untersuchung der Universität zu Lübeck zeigte, dass eine achtwöchige kalorienreduzierte Diät bei Adipositaspatient:innen nicht nur zu Gewichtsverlust, sondern auch zu einer verbesserten Entscheidungsfähigkeit und einem stabileren Hormonhaushalt führte.

Bewegung, Ernährung und Schlaf – der Lebensstil zählt

Der Einfluss von Lebensstilfaktoren auf das biologische Altern ist gut dokumentiert. Regelmäßige Bewegung (mind. 150 Minuten pro Woche), ausreichend Schlaf, eine pflanzenbasierte Ernährung mit wenig Zucker und Transfetten sowie der Verzicht auf Nikotin sind zentrale Stellschrauben. Auch psychosoziale Faktoren wie Stressabbau und soziale Teilhabe wirken sich nachweislich positiv aus.

Prof. Dr. Isabella Heuser von der Charité Berlin sagt dazu: „Biologisches Altern ist kein starrer Prozess – es ist beeinflussbar. Selbst kleine Veränderungen im Alltag können große Effekte auf zellulärer Ebene haben.“

Gesundheitspolitische Bedeutung und Prävention

Angesichts der enormen gesundheitlichen und ökonomischen Folgekosten von Adipositas – geschätzt über 100 Milliarden Euro jährlich in Europa – gewinnt die Prävention an Bedeutung. Dabei muss der Fokus auf junge Menschen gelegt werden. Denn bereits im Kindes- und Jugendalter wird das Fundament für gesundes oder krankmachendes Altern gelegt.

In Deutschland sind laut Robert Koch-Institut (RKI) rund 15 Prozent der Kinder übergewichtig, etwa 6 Prozent adipös. Die Tendenz ist steigend, insbesondere in sozioökonomisch schwächeren Haushalten.

„Wir müssen dringend in frühzeitige Aufklärung, gesunde Schulverpflegung und Bewegungsangebote investieren“, mahnt der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Besonders wichtig sei es, den Familien gesunde Lebensgewohnheiten vorzuleben und strukturelle Hemmnisse wie ungesunde Lebensmittelwerbung oder Bewegungsmangel in der Stadtplanung zu beseitigen.

Wer jung bleibt, lebt besser

Adipositas ist weit mehr als ein kosmetisches Problem – sie ist ein Beschleuniger biologischer Alterungsprozesse. Bereits bei jungen Erwachsenen lässt sich eine epigenetische Vorverlagerung des Alterns nachweisen. Die Folgen sind schwerwiegend: chronische Krankheiten, verminderte kognitive Leistungsfähigkeit, eine verkürzte Lebensspanne und verringerte Lebensqualität.

Doch die gute Nachricht lautet: Das biologische Alter ist beeinflussbar. Durch bewusste Ernährung, Bewegung, Schlaf und medizinische Interventionen lässt sich der Alterungsprozess verlangsamen – in vielen Fällen sogar umkehren. Dafür braucht es jedoch nicht nur individuelle Anstrengungen, sondern auch eine konsequente gesundheitspolitische Strategie.

Wer jung bleibt, lebt nicht nur länger – sondern besser. Und das beginnt oft damit, das eigene Gewicht ernst zu nehmen – nicht aus Eitelkeit, sondern aus Verantwortung für die eigene Zukunft.

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